Reto Lanzendörfer / Leben / Journal 1998

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rohe Auszüge aus meinem Journal 1998: 

 

  

  

  

Reto Brunschwiler sagte zu Marco Schwarz: "Ich heisse Hans Friedrich" und das war falsch.

1.9.1998 Zivilschutzübung

Im Keller des Schulhauses Hinterbächli Oberrohrdorf:

 

 

 

 

Eine Hermes Schreibmaschine, gekauft bei Otto Mathys Baden Tel. 056 2 50 15, also eher ein antikes Modell. Angenehmer Klang, guter Anschlag. Das Schriftbild wird sich zeigen nach ein paar weiteren Zeilen.

Jetzt werde ich gefordert, als Schnittstelle zwischen dem Funknetz und dem Telefonnetz. Gruppe zwei hat eine Arbeit beendet und braucht nun einen Besen, um die Strasse zu wischen. Drei sucht einen Plattenvibrator, aber wo soll denn ich einen Plattenvibrator auftreiben? So lerne ich den Materialwart E. hier kennen. Er hat auch keinen solchen Vibrator, aber vielleicht bei Gruppe fünf, da arbeitet ein anderer E. und der sollte doch einen haben. Das glaubt mir der Dreier jedoch nicht. Ich kann nur ausrichten, was mir mitgeteilt wird. Nun ruft Drei den Siebner und behauptet, ich hätte gesagt, es sei kein Plattenvibrator aufzutreiben, was doch eine Lüge ist, und der Siebner antwortet doch glatt, man solle diesem Mann im KP Beine machen, damit bin ich wohl gemeint. Ich verzichte darauf, über Funk mich wieder ins richtige Licht zu stellen, bleibe aber trotzdem etwas gekränkt.

Nun meldet sich Vier und will die Motorgarette. Wie gut, dass ich weiss, wo der Materialwart E. ist, er hat auch so eine Garette, nur wie kommt sie zur Gruppe vier ins Märxli? Aha, es gibt einen Materialtransporter mit Natel, der sei gerade bei Eins am Beton abladen. Ich rufe also Eins, es meldet sich aber keiner. Die Natelnummer habe ich auch nicht, also rufe ich den Sexi, welcher auch mobil ist. Er hat jetzt keine Zeit, aber die Nummer vom Transport. Wie gut, ich telefoniere sowieso lieber über das Telefonnetz, da hören nicht alle mit. Ich weiss nur nicht, wie ich mich melden soll, beim Funknetz bin ich Marco zero. Meine Anmeldung misslingt mir völlig, ich melde mich mit meinem Namen und spüre, wie er studiert, also hänge ich noch Zivilschutz an und komme gleich zur Sache. Ich kann also dem Vierer seine Motorgarette auf drei Uhr versprechen.

Ich werde von Acht aufgerufen, das ist C., der oberste Chef von allen, eine ruhige, sehr angenehme Stimme. Er macht lediglich eine Verbindungskontrolle, wie gut, also keine weitere Pendenz für mich.

Fünf ist ganz aufgeregt und fragt mich, ob ich die Natelnummer vom Materialtransporter ausfindig machen kann. Ich kann und bin stolz darauf, habe ich doch vor wenigen Minuten ein Papier mit seinem Namen, Vornamen und Natelnummer vor mir an die Wand gepinnt.

Vier berichtet, dass die Motorgarette angekommen und bereits im Einsatz ist.

Fünf tönt immer noch aufgeregt und hat den Chauffeur erreicht. Wahrscheinlich wird Fünf einfach nervös, wenn er funken muss, so wie ich auch.

Einer tönt noch angenehm, der von der Gruppe vier mit einer Baslerstimme. Er ist der fleissigste Berichterstatter von allen. Nachdem seine Gruppe die Mauer fertig hat, ist Herr K. eingetroffen und erzählt nun etwas Historisches über den Ort und die Mauer.

15.30 Uhr
Es wird ruhig auf dem Netz. Was sie wohl alle machen da draussen? Scheint die Sonne oder ist es dunkel? Da drinnen spüre ich absolut nichts von all diesen Dingen, die sonst mein Leben bestimmen.

16.00 Uhr
Jetzt würde ich eigentlich gerne gehen, um den Tag noch etwas zu geniessen, mit dem Bike nach Baden fahren, mit M. unsere Joggingschlaufe machen und dann zur Abkühlung ein paar Schwimmzüge in der Limmat, wie es zu unserer Gewohnheit wurde in letzter Zeit, darf ich aber nicht. Nur drei Tage im Jahr tue ich, was man mir sagt, und nicht das, wozu ich gerade Lust habe, so wie es auch schon in der Zeitung formuliert wurde.

Gruppe zwei ist am Zusammenräumen und wird bald mit den Vierern zusammen ins KP Niederrohrdorf zurückverschieben zum Schlussrapport.

16.34 Uhr
Vier meldet den bevorstehenden Abgang.

Auch Fünf räumt zusammen. Ich bleibe noch, bis mindestens fünf Uhr hat der C. gemeint.

Brachte ich doch heute morgen ein Buch mit, um zu lesen, nun schreibe ich selber, und der Tag vergeht schnell.

Auch Drei macht Feierabend, fehlt nur noch der Einer, das ist sicher der, den ich nicht verstanden habe, da die Verbindung so schlecht war.

2.9.1998
Ich hatte einen guten Tag gestern, im Gegensatz zu M. Er hatte einen schlechten Tag, wie er selber formuliert. Obwohl er seinen Tag selber gestaltete, traf ich ihn am Abend niedergeschlagen in seiner Wohnung an. Ich denke: man "hat" nicht einen Tag, man macht ihn sich, egal in welcher Position, welches Rad man ist in der ganzen Maschine. Dieser "man", der sich über einen schlechten Tag beklagt, ist an seinem "unzufrieden sein" nicht ganz unschuldig. Ich versuche aus jeder Situation etwas zu machen, auch wenn sie noch so trist scheint- musste ich doch tatsächlich mein "Künstler-Maler-Leben" für diesen Dreitageseinsatz unterbrechen. Ich wäre jetzt in der 5-Terre am Meer und versuchte die wundervollsten Aussichten auf Leinwand zu bringen und wäre abends vielleicht unzufriedener, weil mir diese Dinge noch nicht so einfach gelingen.

Ich kam, um diese drei Tage möglichst schnell hinter mich zu bringen. Nun eilt es nicht. Ich kann auch hier mein Leben weiterleben, ja die Zeit wird sogar knapp, um alles Vorgenommene zu erledigen. Jetzt wird mir klar- ich muss jeden Augenblick leben, denn ich kann keinen wiederholen. Was macht es für einen Sinn, den Feierabend herbeizusehnen, um dann verärgert im Feierabendverkehr die Ankunft zuhause zu erwarten. Dazwischen kommt noch die Parkplatzsuche vor dem vollen Lebensmittelgeschäft, wo man noch schnell etwas Essbares einkaufen will. Und wieder zig Gelegenheiten, um sich zu ärgern - die Frau mit dem vollen Einkaufswagen, die mir den Weg zur Milch versperrt, die andere, die mit ihren Dreckfingern an mehreren Melonen herumdrückt, bevor sie sich dazu entschliesst, keine zu kaufen. Mein Brot ist bereits ausgegangen und dieser Nichtswisser vor mir an der Kassenschlange, hat bestimmt mehr als sieben Artikel in seinem Einkaufswagen, der darf hier an der Schnellkasse nicht anstehen. Wie kann man nur mit einer Kreditkarte zahlen wollen, wenn man sich nicht mehr an den Code erinnert? Aha, die Leitung ist überlastet, das darf nicht vorkommen. Schliesslich komme ich erschöpft und am Boden zerstört zuhause an. Kann ich jetzt beginnen mit "leben"? Nein, jetzt muss die Milch in den Kühlschrank, es reicht, wenn ich schon sauer bin, dann sehe ich das Bett, noch nicht gemacht. Ich öffne ein Fenster um etwas frische Luft zu spüren, sehe das eingetrocknete Geschirr von gestern Abend und frage mich: Wann beginnt nun endlich mein Leben?

Das ist mein Leben, ich muss nur mein Gefühl "Aerger" austauschen mit "Freude". Das ist tatsächlich nicht so einfach, jedoch mit viel Training komme ich meinem Ziel zu leben, zufrieden oder in Frieden zu leben, diesem Ziel komme ich ein bisschen näher. Allzu oft ertappe ich mich noch in meiner Welt voller Aerger, dennoch bin ich zuversichtlich.

Vor mir liegt der Brief von Y., einer sehr guten Freundin aus Ecuador. Sie wird mich bald besuchen, vielleicht ist auch das der Grund für mein gutes Befinden, tompi, ich habe ihn noch nicht gelesen, gestern nur schnell überflogen und heute mitgebracht, um ihn zu studieren. Sie scheint schnell zu schreiben, ihr Schriftbild gefällt mir, nur ich kann es schlecht lesen. Das hat auch sein Gutes, ich lese den Brief mehrere Male aufmerksam durch und erfahre jedes Mal mehr. Ich möchte sie auch nicht bitten, schöner zu schreiben, sie schriebe dann langsamer, und ihr Stil, der Fluss ginge verloren.

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